Zehnzeiler

Letzte Schicht & das achthundertzehnte Gedicht

Am Kleinhesseloher See

Die Einladung

Das Licht, es hat grade echt richtig zu tun
Allen Schutt aus den Kammern zu fegen
Den ein schlampiger Mieter als Teilzeittribun
Ertrutzte mit Dutzend Belegen

Den harten Nacken
Mit zarten Macken
Wie schadlos vor Glück überstanden

Hör, wie Mörike röhrt
Aus dem Tower betört:
"Frühling, du kannst wieder landen!"

Eis & das achthundertvierte Gedicht

Eislaufen auf dem Nymphenburger Kanal

Das Pferd Gerd

Das Pferd Gerd entbehrt an den Hufen
sommers wie winters der Schlittschuh' nebst Kufen
Wiewohl in ihm als Bitte gärt
nach jedem Ritte unbeschwert
drei Schritte übers Eis zu gleiten

Dem Reittier würd's a Freid bereiten!

Doch blieb das Schlittern ihm verwehrt

Schon bitter
weil auch unser Gerd
wie jedes Pferd gern Schlittschuh fährt

Rückfall & das siebenhundertneunundachtzigste Gedicht

Schneefall am alten Nordfriedhof

Kosename "Sisyphos"

Denke der vertanen Tage!

Rück die Welt ins Off und wage
Dich ins Loch der letzten Pläne!

Zeig dem Blendwerk deine Zähne

Und drück dein Rückgrat zauderfrei
Durch Drang-nach-Taten-Zauberei!

Es wird bis zum Abend zwar nicht viel passier'n
Doch du bist ja bestens gewohnt zu verlier'n

Als Fazit steht im Wochenplaner
"Ein guter Tag, doch ein vertaner ..."

Tor 10 & das siebenhundertvierundzwanzigste Gedicht

Auswahl bei Tutzing

Die Siedler von Catan(berg)

Hinten bei den Teppichstangen
Hab'n wir früher abgehangen –
Für uns gab’s sonst nichts zu tun –

Lauschten, was der Nachbar schaut:
"Mensch, stell' den Kasten nich' so laut!"
"Dann hör' doch weg, Du blödet Huhn!"

Dann kam Euer Umzug – ich selbst blieb noch lange.
Doch nie hing ein Teppich dort über der Stange.
Der Rost hat sie dann abgebaut –
Und ich, ich hab' TV geschaut.

Unterwegs & das siebenhundertzwölfte Gedicht

In Prag

Tourblues

Und immer wieder Züge.

Die kenn' ich zur Genüge.
Hannover, Mannheim, Kassel, Köln –
Die oft durchhetzten Umstieghöll'n
Sind mir bekannt.

Das ganze Land
Verwässert sich im Wiederhol'n.
Da raunt's in mir: Bleibt mir gestohl'n!
Als wenn ich's nicht ertrüge:

Das Wiederhol'n. Und Züge.

Im Reichstag & das sechshundertzweiundneunzigste Gedicht

Berliner Reichstag

Dem dolcen Feudel

Per Schlange fädelt man sie ein
Metalldurchdoktort komm'n'se rein
Von Luftboys werd'n'se aufgezogen
Verwendelt und im Schritt gebogen
Kreisenhaft aufs alte Haus
Kaum sind'se drin, schon schau'n'se raus

Vom Reichstag verkuppelt
Janz eene Wolke

Trau'n zu, dass der Bau hält:
Dem deutschen Volke

Umgehungsstraßenkuh & das sechshundertneununddreißigste Gedicht

Kühe in Uidapurs Straßen

Alle meine Welt

Alle meine Welt ist Pisse
Haifischbeckenbodenrisse
Alle meine Welt ist Kot
Liebesschwur bei Atemnot
Alle meine Welt ist Kotze
Ödes "Meine Welt"-Gemotze
Alle meine Welt ist Eiter
Glimmerpimmel, Schimmelreiter
Meine Welt soll dir, du Schwein
Ewig Leit- wie Leidbild sein

Isarhochwasser & das sechshunderteinundzwanzigste Gedicht

Isarhochwasser

Daß Du ewig denkst an mich

Du hast das Heidenröslein gebrochen
Danach vielleicht zweimal an ihm noch gerochen
Es mit sanftem Druck ins Heu gelegt
Dass es doch zumindest im Notfall verpflegt
Und nicht so sehr am Heimweh leide

Es war in Deinen Augen Weide
Und fügte sich ins tote Gras
Wie dem Grundton derselben Erkenntnis: "Das war's!
So abgrundlos kurz war vorm Leiden das Glück ..."

Und auch Du wünschtest ihm nun die Heide zurück

Gärtnerplatz & das sechshundertachtzehnte Gedicht

Gärtnerplatzfest

Nur ein Schauer?

Regen pflegt immer noch tödlich zu sein
Er kann, was, er will, auch, beenden
Er drängt sich in treudoofe Sommer hinein

Man hört von dezenteren Bränden
Regen pflegt immer noch tödlich zu sein

Zwar röhrt die Sau: "Glaub mir
Das ist nur ein Schauer!"

Doch er ist halt ein Raubtier
Und schlägt seine Hauer
Aus Triebgewohnheit in Dich hinein

Der Pilz & das sechshundertzweite Gedicht

Olympiapark

Das Leben im Glückspilzgarten

Du ahnst die Welt mit Optimismus hinfort
Und ich kann Deinen Sturz kaum erwarten
Doch Du findest trotz Blindheit das passende Wort
Und eroberst Dir weitere Staaten

Und mitten im Camp der stochastischen Duldung
Hast Du Dir ein Blockhaus gebaut
Ich gleite durchs Koma der Weiterverschuldung
Schrei wirklich um Hilfe und doppelt so laut

Nun bleibt für den Ausgleich auch nicht mehr die Zeit
Und wahre Verachtung verklärt sich zu Neid

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